Liebes Archiv … Einträge vom Mai 2008

Interessant. Laut. Anstrengend.


Es soll Leute geben, die meiden derartige Ereignisse schon wegen der Menschenmassen, in Kombination mit langwieriger Anreise, gnadenlos brennender Sonne und höllenartigem Lärm eine verständliche Einstellung. Aber wer was erleben will, muß hin und wieder Kompromisse eingehen.
Da standen wir nun in der S-Bahn, jede Station eine Erleichterung, wenn wieder ein paar Scheiben der dicken Luft auf den Bahnsteig knallten, es schien sich herumgesprochen zu haben, daß die ILA mal wieder in Schönefeld Hof hielt. Vom Bahnhof und der überquellenden Bushaltestelle ging es rund um den ganzen Flughafen und über die Baustelle des BBI. Der größte Bus der Welt zog gerade im Zeitlupentempo seine Kreise. Ein neues Grauen wartete schon, Anstellen für Eintrittskarten und Einreihen zum Durchleuchten. Dann endlich drin. Die Sonne knallte. Trinken.
Und knipsen. Die fliegenden Rauchgeneratoren in Formation, die Eurocopters und Eurofighters, die historischen Luftkisten, die MIGs und MAGs und MUGs, so ein Gewusel am Himmel und am Boden. Das schlauchte. Augen und Füße wurden müde. Rückfahrt im Sonderzug wie die Sardinen. Wir freuen uns aufs nächste Mal. Haha.

[] Berlin / Samstach, 31. Mai 2008

Arrivederci Italia.

un ist es schon wieder passiert. Nicht der Abschied war es, der mir schwerfiel, als die Entscheidung nicht mehr umkehrbar war, blieb einzig der Umzug und die damit verbundene Hektik als Ärgernis. Das Wetter war ja in den letzten Wochen eh nicht berauschend.
Die Wollmäuse waren noch am Mittwoch völlig arglos, denn der Abend gehörte der Abschiedsfeier in der Bar an der Piazza. Erst am Donnerstagnachmittag füllten sich gemächlich die Koffer und ich rückte den Kuscheltierchen zuleibe. Nach Verabschiedung meiner Nachfolger, die angesichts der angehäuften Restposten freudig Luftsprünge machten, legte ich richtig los. Erstaunlicherweise genügten meine Bemühungen bei der Wohnungsreinigung der Signora und die Übergabe am nächsten Morgen war kurz.
Noch ein Rundgang durch Vercelli zum Abschied, es war Markttag und die Piazza und die anliegenden Straßen voller Stände und Menschen, noch ein Caffé und dann das Gepäck ins Auto gewuchtet. Gut, daß ich recht frühzeitig losgefahren war - warum gibt es am Flughafen keine Tankstellen? Gute Nacht, wenn du in Eile bist und den Mietwagen betanken mußt. An einem der manchmal launischen Bezahlomaten in der Nähe gelang es mir dann doch.
Nun zum Flughafen. Ein paar Kilo Übergepäck hielten mich noch etwas auf und schon reihte ich mich in die unüberschaubare Schlange vor den Sicherheitstoren ein, während einige Fluggäste hektisch und schwitzend versuchten, die Überholspur zu nehmen um ihren Flieger nicht zu verpassen. Vermutlich, dachte ich später beim Vorbeischlendern an den Läden der zollfreien Zone, gehen diese bald pleite, weil alles nur noch daran vorbeihetzt. Ausgezehrt und halb verdurstet schleppt man sich in den Flieger und muß für ein Glas Wasser auch noch blechen, falls man den falschen Flug gebucht hat.
Hoch oben sagte ich ciao.
Ciao verschlafenes Vercelli.
Ciao Palazzo.
Ciao Pferdestall und Schreihals.
Ciao Pizzeria und Menu del Giorno. Dolce o caffeé.
Ciao Reisfeld und Risotto.
Ciao Airone und Molukkenkranich.
Ciao la dolce vita italiana.

[] Berlin / Freitach, 30. Mai 2008

Hia hia ho - Der Bauernhof ist in der Stadt.


Beim ersten Rundgang um die Mittagszeit hatten sich nur wenige Besucher an die Kathedrale verirrt, es drohte jeden Moment zu regnen. Als gegen vier die Sonne die Leitung des weiteren Tages übernahm, schoben sich die Leute nur so über die Wiese, um ihren Kindern endlich mal echtes Vieh zu zeigen. Sowas kennt man ja als Städter garnicht mehr.

[] Vercelli / Sonntach, 18. Mai 2008

Dieses Kribbeln macht mich verrückt.


Eines späten Nachmittags streifte ich, die Kamera in der Hand, durch eine Wiese, welche mit jungen Obstbäumen bestanden war, die Sonne neigte sich mal wieder gen Feierabend und auf ein geheimes Zeichen erhoben sich alle fliegenden Rüssel von ihren Grashalmen und Blüten, Blättern und Knospen, auf denen sie bis dahin gerastet hatten, und nahmen Witterung auf, sogen in ihre winzigen Nasenlöcher die noch weit winzigeren Moleküle meiner kopfarbeitgeborenen Schweißabsonderungen und interpretierten dieselben als großzügige Einladung auf einen flüssigen Spätnachmittagsimbiß, einen Aperitivo, ganz nach italienischer Art. Es summte wie in einem Hochspannungstransformator, daß man sein eigenes laut gedachtes Wort nicht mehr hören konnte. Ich dachte es wieder und wieder, konnte es aber beim besten Willen nicht hören.
Meiner Maxime folgend, was Pickel ist, ausdrücken, was Beule ist, nicht anfassen, ließ ich es jucken, ließ die unzählbaren Rüsselspitzen sich in meinen nahezu ungeschützten Rücken und die Schultern bohren, schüttelte mich wie ein Pferd mit dem Fell zuckt und knipste weiter, das beständige Summen im Ohr, kämpfte quichotegleich um meine Fotos, arbeitete mich von Blüte zu Blüte, Motiv zu Motiv, von Insekt zu Insekt, bis sich das Jucken aus tausend Stichen wie eine Rheumakur im Ameisenhaufen anfühlte und ich mir einreden mußte, der Heilung schon schmerzhaft nahe zu sein.
Das Licht versuppte hinter den Bäumen, die die Wiese umstanden, die Auslösezeiten der Kamera wurden quälend lang, das Stillhalten, während Trillionen kleiner hungriger Plagegeister Luftangriffe flogen, wurde immer schwieriger. Das Prickeln der Hautirritation störte meine Konzentration und rief nach Meditation zur Schmerzelimination. Also erklärte ich den Ausflug schließlich für beendet. Die kleinen Biester, die getrödelt hatten und sich noch nicht wohlig den prallen rotgefärbten Bauch reiben konnten, murrten hörbar.
Ich sperrte mich ins Auto ein und während mein gepeinigter Rücken spastisch zuckte wie nach einer Auspeitschung mit Brennesseln, konnte ich endlich das Wort hören: Cazzo wars.
An dem anderen Tage, als sich mein Finger wiederholt und scheinbar zwanghaft über den silbrigen Knopf krümmte, wieder und wieder zustieß, klack, klack, an diesem Tag, der vom erstgenannten thematisch so schwer zu trennen ist, war ich zwischen zwei abgetauchten Feldern unterwegs, die ein satt bewachsener Weg und ein Bewässerungskanal trennte, an dem sich langstielige Lilien, deren Vornamen mir nicht geläufig sind, und andere Gewächse zuhause fühlten. Wie immer hatte das erste Drücken des Auslösers, das charakteristische Klick-Klack des zurückschnellenden Klappspiegels, genügt, aus mir einen gehetzten Paparazzo zu machen, der nicht Hunger noch Durst fühlt, bis alle Filme verknipst sind. Vorsichtig, nicht die Grashalme zu streifen und ungebetene Blutsauger aufzuscheuchen, arbeitete ich mich von Blume zu Blume. Plumps, plumps machten die ängstlichen Frösche und verschwanden im Kanal, hektisch flatterten die Enten auf, als ich ihnen zu nahe kam. Übergangslos verschwand die Sonne hinter dem Wolkenschleier. Am Ende des Weges schließlich kam es zum tragischen Verlust des Suchergummis, kaltes Metall schmiegte sich an mein Auge, wahrscheinlich hatte ein johnwaynesches Herumschwenken der Kamera in Hüfthöhe das Ding hinwegschnipsen lassen, jetzt keine Bewegung, erstarrtes Suchen und darauf folgend brutales Abmähen der vorher so andächtig abgelichteten Pflanzen brachte es nicht zurück, nur die Idee von der Nadel im Heuhaufen im Urwald wollte nicht verschwinden. So war das.
Weitere Sticheleien ertrug ich eines anderen Nachmittags, als ich am Po spazierenging und wieder eigenartige Geschöpfe auf das digitale Zelluloid kopierte. Beweise anbei.
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[] Vercelli / Samstach, 17. Mai 2008

Im Kielwasser.


Ich mag eigentlich keine anstrengenden Sachen. Warum bin ich dann dem Rufe meines Kollegen H. zum Lago Viverone gefolgt? Wakeboarding? Ts.
Es geht ein leichter Wind, Federwölkchen dräuen am Himmel über uns, dicke dunkle Haufenwolken im Norden über den Alpen verkünden, daß die Meteorologen des deutschen Fernsehens recht hatten. Zum Einstieg begleiten wir einen Sportler, der sein selbstkonstruiertes Brett mit zwei Tragflächen ausprobiert, das ihn über den Wellen dahin tragen soll, aber seine gebuchte Zeit ist zu schnell um und es bleibt bei kurzen Versuchen. H. steigt nun aufs Brett und ich ins Boot, die Kamera scharf. Los geht das wilde Wellenreiten im Kielwasser des kraftstrotzenden Motorboots, links, rechts, Sprung über die Wellen, Drehung, alles drin, eine Saison Training hinterläßt Spuren.
Und dann kommt mein erstes Mal. In etwas brüchigem Englisch hatte ich ein paar Instruktionen erhalten, Knie zwischen die locker gestreckten Arme und nicht versuchen aus dem Wasser rauszudrücken, kommt alles von selbst. Wer kann das glauben. Erst recht wenn er so verkopft ist wie ich. Also Brett untergeschnallt und reingehüpft ins Wasser. Das Boot zieht. Das Brett verschwindet unter Wasser. Nicht die Beine strecken, nicht das Seil heranziehen, sagt der Europameister. Tja. Und beim nächsten Mal bin ich raus aus dem Wasser, die Bugwelle des Brettes brodelt, der Meister bedeutet mir unten zu bleiben, und scheinbar mach ich irgendwas richtig, alles geht von allein, ich reite hinter dem Boot her. Nicht lange allerdings, den Griff nahe am Körper halten! An der Hüfte! Noch ein paar Bauchklatscher, das Boot wendet und bringt mir das Seil zurück, dann reite ich ungläubig eine ganzes Stück im Kielwasser des roten Boliden. Ein bißchen Snowboarding zur Koordinationsübung wäre hilfreich gewesen.
Noch ein bißchen Aufwärmen am Ufer mit Blick auf die Stege der Wakeboard-Schule, dann wirds dunkel hinter uns und Formel Eins und überhaupt. Abflug.

[] Lago Viverone / Sonntach, 11. Mai 2008

Extratouren II - zurück ins Mittelalter.


Eigentlich ist es hier nicht so schwierig, in die Vergangenheit zu reisen. Sie ist ständiger Begleiter. Aber am Sonntag wurde eine organisierte Reise ins Mittelalter angeboten. Viele, zuviele Menschen nahmen das Angebot an, sich in der Abbazia di Lucedio verköstigen zu lassen und altertümlich gekleidete Menschen anzugaffen. Vielleicht bin ich zu abgestumpft und überreizt für solcherart mentale Zeitreisen, jedenfalls macht mich sowas nicht an. Keine Lust auch, im Menschengewimmel bei sommerlichen Temperaturen auf Herrn Branduardis Auftritt zu warten. Stattdessen Flucht und normales gegenwärtiges Essen in einem abgelegenen Dorf im Monferrato, dem Land südlich des Po, mehr als reichlich, wie gewohnt. Hier fanden wir auch wieder ein feudales Schloß, das keine Besucher einließ. Schade.
Ganz neuzeitlich wieder das Verkehrsaufkommen auf der ligurischen Küstenautobahn. Am Samstag gönnten Brüderchen und ich uns ein paar Stunden auf dem Mittelmeergrill bei Verazze, westlich von Genua, und weihten unsere käseweißen Körper dem Sonnengott, nicht ohne Folgen. Auf dem Rückweg eine Vorahnung von hochsaisonalen Freuden des Wochenendstaus, ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Wahl eines Urlaubsziels.

[] Vercelli / für Montach, 05. Mai 2008

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.